An meine geliebete Königin

Es war ein Mal eine Königin, die sehr praktisch orientiert war, sie sah sofort was zu tun war und wer was gebraucht hatte. Sie erledigte ihre eigene Arbeit immer wieder gut und schnell und delegierte an ihre Untertanen je nach Rang und Ordnung die Aufgaben die sie erledigen konnten. Die Menschen die unter ihrer Herrschaft lebten waren zufrieden und fühlten sich sicher und behütet. Jeder hatte seine Rolle und seine Arbeit.

Da wurde die Königin eines Tages krank und konnte nicht mehr alles erledigen. Sie war zu müde um sich um alles zu kümmern. Plötzlich gab es zum ersten Mal Streit und Unordnung. Keiner wusste so recht was er zu tun hatte und viele taten deshalb gar nichts. Die Königin beklagte sich, weil keiner auf die Idee kam ihr einen Tee zu machen. Wie konnte das sein? Sie selbst hatte ihnen doch immer Tee bringen lassen wenn sie krank waren. Wegen der Krankheit vergaß sie ihren Diener zu sagen, dass in der Küche Brot fehlte und als dieser ohne Brot zurück kam wurde sie wütend. Ihn aber traf keine Schuld, wie hätte er wissen sollen, dass er Brot hätte kaufen sollen? Rechtfertigte er sich mit vorsichtiger Stimme, "es tut mir Leid, aber mir hat keiner was gesagt".

Die Königin erholte sich langsam von der Krankheit, aber sie war traurig und frustriert. Ihre Untertanen waren nicht in der Lage eine Sekunde ohne sie klar zu kommen. Sie war verärgert und genervt, weil sie bemerkte, dass sich keiner um sie kümmerte und sie immer an alle und alles denken musste. Ihre Arbeit machte ihr immer weniger Spaß und immer wieder beklagte sie sich bei ihren Dienern wenn sie vergaß ihnen ganz genaue Angaben zu machen (wie früher) und diese dann ihre Aufgaben nicht zu ihrer Zufriedenheit erledigten. Die Diener wurden auch immer schlampiger und unzufriedener. Plötzlich sagte eine Dienerin "Jetzt möchte ich auch mal was entscheiden!" Und die Königin erstarrte schockiert.

Wo kämen wir den hin, wenn jeder selbstständig entscheiden würde? Was wäre dann aus der Königin, wenn alles funktionieren würde, ohne ihre Anweisungen, also ohne sie? Was bleibt einer Königin anderes übrig als seine Diener zur Abhängigkeit zu erziehen? Schließlich wäre sie keine Königin mehr wenn sie nicht ihre Funktion, ihre Rolle als Herrscherin ausüben könnte? Und was oder wer wäre sie dann?


Die traurige Königin merkte plötzlich, dass sie eine Pause bekommen hatte, weil diese kleine Dienerin auch mal entscheiden wollte. Sie hatte nun die Pause die sie sich immer gewünscht hatte, konnte damit aber nichts anfangen. Sie hatte verlernt Pause zu machen, sich zurück zu lehnen und einfach zu entspannen. Es war so schwer ihren Dienern dabei zugucken wie sie plötzlich ohne sie klar kamen. Es war so traurig zu bemerken, dass sie nicht gebraucht wurde.

Dann plötzlich kam ein kleiner Diener und sagte "Mama, ich will dass Du heute neben mich sitzt!" und da musste sie erleichtert weinen: ganz vergessen hatten sie sie doch nicht.

(An meine Mutter und an alle anderen Frauen, die mir immer wieder begegnen und mich daran erinnern wie schwer es mir fällt in ihrer Gegenwart selbstständig Entscheidungen zu treffen. Und an K. die sich in meiner Gegenwart traute ihrer Mutter zu sagen "Jetzt will ich auch mal was entscheiden!")

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